Dialogisierung nach Franz Kafka, Der Nachbar. Aus dem Nachlass von Franz Kafka. Sie wurde 1917 geschrieben und 1931 in Berlin von Max Brod und Hans-Joachim Schoeps herausgegeben. Als Monolog bearbeitet von Max Erben, Köln

 

 

 

(Szene: vorgestelltes Fenster vorn zum Zuschauer, Else sitzt rechte Hälfte für den Zuschauer, und tippt ebenfalls zum Zuschauer gewendet, Wand rechts vom Sprecher, links für den Zuschauer ) (Steht breit gestützt auf die Fensterbank, Blick über die „ganze Welt“ draußen, selbstsicher. Kommt später in den Raum und zu Fräulein Else.)

 

 

 

Schönes Wetter heute, Wetter schön, Geschäfte laufen, Laune gut!

 

Was sagen Sie, Fräulein Else. Es läuft! Ich kann nicht klagen. Wir eilen von Erfolg zu Erfolg.

 

Fräulein Else hat es doch gut hier im Vorraum, mein Besprechungszimmer, die Kasse, es läuft. Alles einfach zu überblicken.

 

Ich muss sagen, auf meinen Schultern ruht das ganz Geschäft. ich kann nicht klagen. mir geht’s gut.

 

 

 

Ist eigentlich schon der Brief an die Firma Kollwitz raus ? - wichtiger Kunde, deshalb ist der Brief wichtig. Firma Kollwitz, das ist eine ganz bedeutende Sache. Ein Großkunde – neu. Was haben wir uns anstrengen müssen! Nicht wahr, Fräulein Else? Hier kommt ein Komma hin, „...nachfragen, Komma, ob....“

 

 

 

Ha'm Sie's gehört? Ich glaube, er ist da. Die Wände sind elendig dünn,

 

 

 

Harras, Harras heißt er. Einfach nur Harras. Steht an der Tür. Harras Bureau.

 

Gesehn hab ich noch nicht, oder kaum, einmal treffe ich ihn auf der Treppe, da war er fast schon in seinem Büro. Er huscht rein. Er hat den Büroschlüssel schon in der Hand, so dass man keine Zeit hat, ihn richtig zu sehen, geschweige denn zu grüßen.

 

 

 

Aber jetzt ist er da, glaube ich. Man müsste eigentlich alles hören, jede Bewegung von ihm,

 

 

 

Geräusch (lauscht) Nichts! Da, viell...

 

Ich glaube, er verhält sich still, er verhält sich still! wenn er weiß, dass wir hier sind. Mucksmäuschenstill.

 

 

 

Ich habe Erkundigungen eingezogen, aber was erfährt man schon? Sein Geschäft wäre ähnlich dem meinigen. Junger aufstrebender Mann. Dass ich nicht lache: jung, aufstrebend sind wir alle. Ich bin jung und aufstrebend. Deswegen läuft es ja auch so gut.

 

 

 

Vielleicht presst er sein Ohr gegen diese elend dünne Wand, um besser zu hören

 

Von Vermögen wussten sie nichts, wahrscheinlich keins vorhanden, aber warnen könne man nicht (leise gesprochen, dann wieder normal) Also das Übliche, wenn man nichts weiß. Kredit ? Vage Auskunft, könne man nicht unbedingt von abraten, aber Genaueres wollte keiner sagen. Kreditwürdig? Weiß man nicht.

 

 

 

Erinnern Sie mich daran, dass ich morgen nochmal die Handelskammer anrufe, um nach der Kreditwürdigkeit von (geflüstert) Harras zu fragen.

 

 

 

Harras – Harras Bureau, wie oft hab ich schon davorgestanden und diese beiden Wörter gelesen. Nur Harras Bureau, mehr nicht. Viel zu oft, unverdient oft. Sollte den Kerl ignorieren, gar nicht zur Kenntnis nehmen. Einfach ignorieren und mein Geschäft weiter betreiben wie bisher. Aber er ist nun mal gleich nebenan.

 

 

 

Die Wände sind elendig dünn, man kann alles hören. Wenn nur die Wände nicht so dünn wären! Ich glaube, er sitzt auf seinem Kanapee an der Wand und lauscht, was hier vorgeht. Gesehn hab ich noch keinmal richtig. einmal treffe ich ihn auf der Treppe, er huscht förmlich an mir vorbei. Wie der Schwanz einer Ratte (ist wieder zu laut geworden und flüstert abrupt;) ist er in seine Räume geglitten. Wie eine Ratte sitzt er auf der anderen Seite und lauscht!

 

 

 

Die Wohnung hat lange leer gestanden. Ich hätte sie mieten können. Ich hätte sie mieten sollen. Ich hätte sie unbedingt nehmen sollen. Aber man soll ja nicht übertreiben. Ganz brauchte ich die Räume nicht. Ist eine Küche dabei. was will ich mit der Küche?

 

Schnell zugreifen hätte ich sollen, zu lange gezögert. Kleinliche Bedenken. Jetzt ist er drin.

 

(lauscht selbst an der Wand)

 

 

 

Da, hören Sie? was meinen Sie, Fräulein Else? Ist er da? Ich wage nicht mehr, die Namen der Kunden am Telefon laut zu nennen. Aber gewisse Wendungen – gewisse Wörter - jeder kann erraten, wer am anderen Ende der Leitung ist. Da gehört noch nicht mal viel Schlauheit zu. Der ehrliche Mann hat keine Chance, den (übertrieben laut ein Wort) Unehrlichen (wieder leiser) schützen die dünnen Wände. Schneller zugreifen hätte ich sollen.

 

 

 

Wir müssen unser Telefon verlegen, weg von der Wand. (Laut:) Denken Sie daran, den Telefondienst anzurufen, sie sollen das Gerät hier (unterbricht sich und spricht im Flüsterton weiter) von der Wand abmontieren und da drüben anbringen. Morgen, gleich morgen.

 

(Wieder normal laut:)

 

Aber selbst wenn der Fernsprecher an der entgegengesetzten Wand hängt, man kann alles hören.

 

 

 

Was sollen wir mit dem Angebot von Erlewein machen? Sagen Sie es mir! Helfen Sie mir, Fräulein Else. Er bietet uns recht wenig. Er ist wenig zuvorkommend. Aber es wäre eine wichtige Geschäftsverbindung. Soll ich fest bleiben? Soll ich nachgeben? Selbstbewusst bleiben und meine Trümpfe ausspielen? Wir sind im Grunde der einzige, der ihn beliefern kann. Ich muss schwerwiegende Entschlüsse fassen. Fest auftreten. Statt dessen beginnt meine Stimme bei den Verhandlungen zu zittern. Harras braucht keine feste Stimme, keine großangelegten Überredungen. Er wartet gar nicht erst das Ende des Gesprächs ab, sondern erhebt sich, wenn er genug weiß und huscht nach seiner Gewohnheit

 

(hält inne, lauscht) durch die Stadt. da, sehen Sie? Ein Spalt zwischen Fußboden und Fußleiste. Vielleicht ist das der Grund für die Hellhörigkeit? Den bemerke ich zum ersten Mal, der war doch vorher nicht da?! Haben Sie den schon mal gesehen? Ob er den gemacht hat - oder erweitert, falls er schon da war? Aber so sichtbar doch nicht. Hab ich noch nie gesehn. Man kann den Finger reinstecken! Fingerdick, da hört er noch mehr, noch besser. Alles! Einfach alles! Ausnahmslos alles, nicht nur jedes Wort, jede Silbe

 

beginnt auf dem Boden zu kriechen, (murmelt immer undeutlicher und verzweifelter und pult mit den Fingern in dem Spalt)