Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade

 

ist ein 1964 uraufgeführtes Drama in zwei Akten von Peter Weiss. Als Monolog bearbeitet von Max Erben, Köln

 

 

 

Coulmier, sich schützend vor Wurfgeschossen, drohend mit Peitsche [stürmt aus dem Bühnenhintergrund heran]:

 

 

 

Herr de Sade, ich sehe ich muss hier die Stimme der Vernunft vertreten. Wie soll denn das werden, wenn wir schon am Anfang des Stückes soviel Unruhe aufkommen lassen. [verjagt die Patienten]

 

 

 

Ich muss doch um etwas Besänftigung bitten.

 

 

 

[Zum Publikum] Schließlich sind heute andere Zeiten als damals und wir sollten uns bemühen, die längst überwundenen Missstände in einem etwas verklärten Schimmer zu sehen.

 

 

 

[beim vergeblichen Versuch die Patienten auseinanderzutreiben und ihnen den ‚Ball’ wegzunehmen] Herr de Sade, so geht das nicht, das können wir nicht Erbauung nennen, daran können unsere Patienten nicht gesunden. Im Gegenteil, sie geraten in unnötige Erregung.

 

 

 

[fatalistisch, resigniert] So lasst es uns also in Ruhe betrachten,

 

 

 

[Laut zu den Patienten:] IN RUHE!

 

 

 

[Die Patienten frieren ein]

 

 

 

weil wir die Taten von damals verachten.

 

Denn an Einsicht sind wir heute viel klüger,

 

als jene, deren Zeit für immer vorüber.

 

 

 

[zu de Sade, weist auf das Textbuch]

 

 

 

Herr de Sade, gegen dieses Treiben muss ich mich wenden. Wir einigten uns hier auf Streichung. Wie nimmt sich denn so was heute aus, da es sich immer aufs Neue zeigt, wie sehr das Volk des priesterlichen Trostes bedarf.

 

 

 

[er ruft in Bezug auf Roux, zitiert ihn im folgenden ironisch:]

 

Was soll das heißen? „Greift zu den Waffen! Kämpft um euer Recht! Wenn ihr euch jetzt nicht holt, was ihr braucht, dann könnt ihr noch ein Jahrhundert lang warten und zusehn, wie sie euch betrügen und berauben.

 

 

 

Sollen wir uns so was mit anhören, wir Bürger eines neuen Zeitalters? Wir, die den Aufschwung wollen? Das ist Untergrabung. Das können wir nicht zulassen. Das ist Defätismus! [sich heftig an Sade wendend] Diese Szene wird gestrichen!

 

 

 

Von Unterdrückung kann überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil. Da wird alles getan, um die Not zu lindern mit Kleidersammlung, Krankenhilfe und Suppenverteilung. Und auch wir hier unterstehen nicht nur der Gnade der weltlichen Regierung, sondern vor allem der Gunst und dem Verständnis unserer geistlichen Väter.

 

 

 

[zum Publikum] Sollte jemand im Publikum sich getroffen fühlen, so bitten wir denselben, seine Ärger abzukühlen und in Freundlichkeit zu bedenken, dass wir den Blick hier in die Vergangenheit lenken, in der alles anders war als heute, denn heute sind wir natürlich gottesfürchtige Leute.

 

 

 

[Wird gewürgt von hinten, zerrt den Patienten hoch und schleppt ihn nach hinten dort setzt er ihm eine Spritze, dabei wendet er sich ein wenig atemlos ans Publikum]:

 

 

 

Zwischenfälle dieser Art sind leider nicht zu vermeiden. Sie gehören bei uns zum Bild der Leiden.

 

Lassen sie uns mit Ehrfurcht bedenken,

 

während wir jenen dort zur Besinnung lenken,

 

dass er einmal als Prediger sehr bekannt,

 

einem berühmten Kloster vorstand.

 

 

 

Wir bitten geehrtes Publikum, zu bedenken, wie unüberlegt und dumm das Volk immer wieder ins Unglück gerät, weil es von der Sachlage nichts versteht. Anstatt solch kopflose Ungeduld zu zeigen, sollte es in dieser schwierigen Zeit lieber schweigen, und für jene arbeiten und ihnen vertrauen, die aus eigener Kraft was Neues aufbauen.

 

 

 

[Patienten bewerfen Coulmier mit ???? und buhen ihn aus; er bringt sie gewaltsam (Peitsche?) zur Ruhe Sie gehen an ihre Plätze zurück Unterdessen nähert sich Dupurret hinter seinem Rücken der schlafenden Corday und beginnt, sie zu befingern, Coulmier bemerkt es] [Man denkt sich , das das Spiel begonnen hat und beobachtet wird.]

 

 

 

Ah. Wie wir sehen, gesellt sich der schönen und kühnen Corday nun ‚Herr’ Duperret hinzu.

 

 

 

[Dupurret kniet nieder und hilft der Corday mit einem Handkuss in die Höhe]

 

 

 

In Caen wo sie die Jahre ihrer Jugend

 

in einem Kloster verbracht voller Tugend,

 

wurde ihr dieser Herr aufs beste empfohlen,

 

sich Rat und Trost bei ihm zu holen.

 

Nachdem wir so viel Beschwerliches weckten,

 

befassen wir uns nun mit lichteren Aspekten.

 

Denn wenn auch einer fiebert und kriegt Hiebe,

 

so besteht doch weiter die holde Liebe.

 

 

 

[Spot auf Corday und Duperret, die sich eng umschlungen küssen]

 

 

 

So lasst uns betrachten dies umschlungene Paar.

 

Sie mit ihrem Schwall von gepflegtem Haar,

 

mit ihrem Gesicht von interessanter Blässe,

 

mit den Augen verklärt von Tränen Nässe,

 

und den Lippen sinnlich geschwungen und zart,

 

und dann diesen, der mit Liebkosungen nicht spart,

 

der in natürlicher Grazie sich bewegt,

 

während sein Herz in Leidenschaft schlägt.

 

Erfreuen wir uns noch an ihrem verlangenden Blick,

 

eh ihnen der Kopf fällt vom Genick.

 

Schnell müssen wir hinzufügen,

 

dass wir uns hier nur damit vergnügen,

 

derartige Dinge auszusagen,

 

die natürlich mit unserer Zeit nichts zu tun haben.

 

Sie meinen, dann sollten wir lieber schweigen?

 

Wir wollen Ihnen aber nur zeigen,

 

was einmal geschehen könnte.

 

Doch wollen wir gerne verzichten,

 

auf die eben genannten (gezeigten?) Zukunftsaussichten.

 

Und deshalb steht jene schon da,

 

um das Reden zu verbieten diesem Marat.)

 

 

 

Jetzt aber leben wir in ganz anderen Zeiten,

 

ohne Unterdrücker und ohne Pleiten.

 

Wir sind auf dem Weg uns zu erholen,

 

Wir haben Brot und es gibt auch Kohlen.

 

Und haben wir hie und da auch noch Krieg,

 

so leuchtet uns doch am Ende der Sieg.

 

Es lebe der Führer und die Nation.

 

Es lebe die Heilanstalt Charenton

 

 

 

[Unter der Führung Coulmiers marschieren die Patienten durch den Mittelgang ab]